Vegan ist gerade in aller Munde. Pflanzliche Ernährung liegt im Trend. Wer möchte nicht gesund, schlank und sportlich sein und ganz nebenbei einen kleinen Beitrag zum Erhalt der Umwelt leisten? Die Anzahl der Menschen in Deutschland, die bewusst auf Fleisch, tierische Lebensmittel und Inhaltsstoffe verzichten, wächst rasant. Der Vegetarierbund Deutschland geht aktuell (Stand Mai 2014) davon aus, dass sich in Deutschland etwa sieben Millionen Menschen vegetarisch und bereits 1,2 Millionen Menschen vegan ernähren. Hinzu kommen viele Menschen, die den Konsum tierischer Nahrungsmittel deutlich einschränken möchten. Kurz gesagt: immer mehr Menschen in Deutschland haben es satt! Doch welche Ernährung tut uns wirklich gut? Geht die Gleichung „vegan = gesund” wirklich auf? Worauf sollte man bei einer pflanzlichen Ernährung achten und welche Stolperfallen gilt es zu umgehen. Ein Interview mit der veganen Ernährungsexpertin und Food-Coach Sonja Reifenhäuser.
Steckbrief: Sonja Reifenhäuser
- Herkunft: Gebürtige Kölnerin und dort gelebt bis ich mit 30 nach Berlin kam
- Alter: 33
- Beruf: Ganzheitliche Ernährungsberaterin und Fachfrau für Bio-Gourmet-Ernährung in Gastronomie, Handel und Gesundheitsvorsorge
- Berufung: Food-Coach/Consultant für veganen Lifestyle www.food-coach.org
- Ernährung ist: Lebensgefühl, Leidenschaft, Gesundheit, Geschmack, Austausch, Kultur und einfach lecker!
- Was baut Dich auf: Menschen, die mich gerne haben – das Gefühl von Nähe und Miteinander – das Leben an sich, mit seinem Wechsel, seiner Spannung, seinen Farben und Formen – Natur und immer wieder das Element Wasser
- Was macht Dich wütend: Intoleranz, Gewalt, Grenzen
- Vegan leben bedeutet für mich: Eine Möglichkeit, meinen ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, mit meiner Umwelt in Verbindung/Einklang zu stehen, meinem Körper etwas Gutes zu tun. Vegane Ernährung ist für mich mein Modul, um Bewusstsein zu schaffen, Veränderung voran zu treiben und mit Menschen in Diskurs zu gehen
Hallo Sonja! Vielen Dank, dass Du Dir Zeit für dieses Interview nimmst. Woher kommt Deiner Meinung nach der derzeit so starke Trend hin zu einer vegetarischen und veganen Lebensweise?
Durch meine Arbeit als Coach und Ernährungsberaterin erkenne ich deutlich drei Strömungen, die sich immer wieder abzeichnen:
- Die wachsenden Krankheitssymptome – wobei ich auch schon Allergien und Unverträglichkeiten, Hautprobleme, Kopfschmerzen etc. zu Symptomen zähle, die uns auf uns selbst aufmerksam machen wollen.
- Die Lebensmittelskandale der letzten Jahre. Viele Menschen sehen sich dadurch gezwungen, sich mehr mit ihrer Ernährung auseinanderzusetzen und Produktion und Konsum unserer Industriegesellschaft zu hinterfragen.
- Wir möchten uns immer gesünder, fitter und jünger fühlen. Dass eine pflanzenorientierte, ökologische Ernährung einiges gewährleisten kann, was durch unreflektiertes und einseitiges Essen nicht gegeben ist, liegt auf der Hand. Du bist was du isst und vor allem sieht man dir es auch an, wie du dich ernährst.
Was rätst Du Menschen, die den Umstieg von einer Kost mit tierischen Lebensmitteln hin zu einer veganen Ernährung schaffen möchten? Geht das überhaupt so von heute auf morgen oder sollte man sich lieber langsam ran tasten?
Ich halte es für sinnvoller, sich an das Thema heran zu tasten und sich kleine Ziele zu setzen. Große sind oftmals schwerer umzusetzen und das Scheitern kratzt dann an unserem Ego und unserem Perfektionismus, macht uns unzufrieden und lässt uns die Lust verlieren, weiter zu machen. Schöner sind kleine Erfolgserlebnisse, besonders weil es vielerorts noch sehr schwierig ist, sich vegan zu ernähren; nicht jeder ist so verwöhnt, wie wir hier in Berlin. Meine Tipps:
- Ersetze anfangs z. B. ein oder zwei Mahlzeiten am Tag durch eine vegane.
- Beginne morgens mit einem Smoothie aus leckerem Obst und würzigen Kräutern. Gerade jetzt in der Jahreszeit gibt es so tolle Früchte und Gemüse auf dem Markt, die Lust auf Mehr machen. Mittags einen gemischten Salat mit Nüssen, Samen, vielleicht einer aufgeschnittenen Rote Bete oder gedünstetem Gemüse.
- Arbeite viel mit Kräutern und Gewürzen, trau dich, hab keine Angst und sie es als dynamischen Weg, der sich erst einmal festigen muss.
- Vielleicht fängst du auch zusammen mit einer Freundin oder deinem Partner für ein Wochenende an, dich an das Thema heranzutasten. Geht zusammen über den Markt, riecht, fühlt und schmeckt das Obst, die Kräuter oder das Gemüse. Kocht und schnibbelt dann zu Hause und genießt, ganz bewusst, was ihr zubereitet habt.
- Alleine die intensivere Auseinandersetzung mit den Lebensmitteln regt dich und deinen Körper an, macht Spaß und inspiriert, sich näher mit dem Thema auseinander zu setzen.
Wenn weitere Hilfe beim Prozess benötigt wird, besonders bei den späteren Fragen wie: „Bekomme ich genug Nährstoffe?“ – „Woher kommt mein B12, mein Eisen, mein Omega3?” – der darf mich gerne über www.food-coach.org anschreiben.
Was ändert sich nach Deiner Erfahrung bei Körper und Geist, wenn man seine Ernährung von Mischkost auf vegan umstellt? Fühlt man sich anders und nimmt man Dinge anders wahr?
Ich spreche einmal von den Erfahrungen, die ich mit meinen Kunden mache und zu aller erst von denen, die ich selbst gespürt habe: Vegane Ernährung/Veganismus ist mehr als ein Verzicht auf tierische Produkte. Es bedeutet meiner Meinung nach eine bewusstere Auseinandersetzung mit sich und seinem Körper, mit unserem heutigen Wirtschaftssystem und unserer Produktionsgier, mit dem Überangebot an Konsum, mit der Ausbeutung von Tier und Umwelt und dem Gedanken, wie ich als Mensch etwas zurückgeben und im Miteinander leben kann. Wenn du dich mit der veganen Philosophie auseinandersetzt, dich in die vielen Themen hineinliest, dann wirst du merken, um was es eigentlich geht und wie ganzheitlich der Gedanke des Veganismus ist.
Laut meiner Erfahrung passiert unglaublich viel während der Umstellung. Es ist eine Veränderung der Sicht- und Lebensweise, oft dauerhaft, und der Einstellung sich selbst und seiner Umwelt gegenüber. Nicht nur dein Körper wird sich freuen, ein Mehr an Vitalstoffen zu sich zu nehmen, auch dein Geist wird die Zusammenhänge des Ganzen verstehen und sich in Verbindung setzen mit deinen Wurzeln – körperlich wie geistig.
Inwiefern kann eine vegane Ernährung eine besonders gesunde Ernährung sein? Worauf sollte man achten?
Immer wieder werden die gleichen Totschlagargumente gegen die pflanzliche Ernährung ausgepackt: Eisenmangel, B12-Mangel, zu einseitig, nicht „Mensch-gerecht“. Allen Argumente kann man mittlerweile fundiert gegenhalten. So kommt etwa ein B12-Mangel bei Mischköstlern/Omnivoren ebenso häufig vor, wie bei VeganerInnen. Die Aufnahme des B12 ist abhängig vom Zustand des Darms und dessen Resorptionsfähigkeit, die allein durch ungesunden Konsum von Lebensmitteln, Alkohol, Kaffee, Stress etc. beeinträchtigt werden kann.
Ebenso wichtig ist der Einfluss des Vitamin D, also der Sonne, die ja bekannter Weise im Norden und Osten Deutschlands besonders in den Wintermonaten eher wenig zu sehen ist. Anhand dieses einen Beispiels kann man leicht verdeutlichen, wie komplex der menschliche Körper ist und das Abläufe eben von vielen Faktoren abhängig sind.
Durch langjährige Studien wissen wir dennoch mittlerweile, wie förderlich eine pflanzenreiche Kost durch die geringere Aufnahme an Cholesterin und gesättigten Fettsäuren für unseren Körper sein kann. Gleichzeitig, und das ist auch mein Ansatz, bedeutet eine vegane Ernährung eine grundsätzliche Reflektion des Essverhaltens und dadurch auch ein größerer Fokus auf gesunde, leichte und abwechslungsreiche Kost. Die daraus entstehende Mehraufnahme an Vitalstoffen schützt unser Immunsystem vor Angriffen, lässt uns vitaler fühlen und im besten Falle auch noch gesünder aussehen.
Wichtig hierbei: regionale und vor allem saisonale Produkte verwenden! Die Natur bietet von Hause aus genau die Nährstoffe an, die wir in den einzelnen Jahreszeiten benötigen, um sicher und gesund durch das Jahr zu kommen – sie bietet sozusagen einen Gesundheitskalender an. Einmal jährlich ist dennoch ein Check bei deinem Hausarzt wichtig, um sicher zu gehen, dass du ausreichend Nährstoffe zu dir nimmst oder ob etwas fehlt. Gleiches würde ich aber auch Omnivoren raten.
Wie sieht Deine Arbeit als veganer Food Coach und professionelle Ernährungsberaterin aus? Wer sind Deine Kunden und wie arbeitest du mit ihnen?
Ich habe verschiedene Kunden und demnach auch ganz verschiedene Ansätze, wie ich mit ihnen arbeite. Ich gebe Tipps für die Umstellung auf pflanzliche Kost, unterstütze mit Anregungen und individuell erstellten Rezepten. Ich helfe bei Gewichtsreduktion, Intoleranzen oder Allergien. Zusätzlich gebe ich Kochkurse oder halte Seminare über den Zusammenhang von Gesundheit und Ernährung. Als Food-Coach kann man mich auch mehrtägig buchen, dann gibt es tagesfüllend im Unternehmen oder privat zu Hause ein ganzheitliches Konzept, gezielt auf den Kunden zugeschnitten – auf Wunsch auch mit Mitarbeiter- oder Serviceschulung.
TV-Auftritte, Seminare, Kochkurse, Blog-Artikel und Zusammenarbeit mit großen Zeitschriften, wie etwa dem Stern – bleibt da noch Zeit für Dich selbst und was macht Sonja privat am Liebsten?
Das Los einer Selbständigen – selbst und ständig ☺ Zeit bleibt immer wieder und vor allem nehme ich sie mir. Das muss ich auch! Ich bin eher einer dieser Menschen, die mit Knallgas durch das Leben ziehen. Meine Energie muss raus und das ist einerseits gut, denn so kann ich viele Projekte umsetzen, Dinge bewegen und Menschen inspirieren. Auf der anderen Seite muss ich mit meinem Körper haushalten und immer wieder Ruheinseln in meinen Alltag einbauen. Das kann dann entweder Sport und Bewegung oder der Austausch mit engen Freunden bei gutem Essen und tollen Gesprächen sein. Was immer geht und entspannt ist Wasser und Natur. Auf dem Wasser, vor dem Wasser, im Wasser – egal. Das Element erdet mich.
Aktuelle Termine und mehr über mich, erfahrt Ihr immer über meine Facebookseite: https://www.facebook.com/foodcoachsonjareifenhaeuser
Danke Sonja, für Deine Zeit und das tolle Gespräch!
Fotos © David Maupilé und Sonja Reifenhäuser
“Ersetze anfangs z. B. ein oder zwei Mahlzeiten am Tag durch eine vegane.”
Genau so bin ich Schritt für Schritt in Richtung vegan gegangen.
Mit einer Mahlzeit habe ich angefangen. Pro Woche.
Dann wurde es ein Tag.
Dann eine Mahlzeit pro Tag.
Dann wurde vegan zur Regel.
Jetzt bin ich Veganer.
Wichtig ist aber, dass im Winter in unseren Breitengraden leider kein Vitamin D gebildet werden kann – ganz gleich ob die Sonne scheint oder nicht. Durch den niedrigen Einfallswinkel der Sonnenstrahlen werden die benötigen UVB Strahlen komplett von der Atmosphäre verschluckt. Sie treffen also nicht auf die Haut.
Als Beispiele dienen Boston (USA; 42°N) und Bergen in Norwegen. In Boston kann kein Vitamin D von November bis Februar gebildet werden – in Bergen kein Vitamin D von Oktober bis April. Berlin liegt auf dem 52. Breitengrad.
Hallo Lea,
ein echt tolles Interview.
Ich kann es auch nur unterstreichen, sich Schritt für Schritt an die vegane Ernährungsform heranzutasten. So bin ich zum Beispiel vor ein paar Jahren an die vegetarische und später dann zur veganen Ernährungsform gekommen. Das Gute ist, dass sich der Körper, der Geschmacks- und Geruchssinn und auch dein Umfeld in Ruhe an deine neue Ernährungsform gewöhnen können. Und gerade dabei habe ich festgestellt, dass auch meine Umgebung immer neugieriger wurde und oft auch einige Gerichte mit ausprobiert haben 😉
Liebe Grüße
Bea
Ich find es schön, dass immer mehr sich vegan ernähren möchten und das heutige “Standard-Essen” hinterfragen. Je mehr dabei helfen, anderen bei der Umstellung und Verbesserung des Essens zu helfen, desto schöner! Die Umstellung ist ein Prozess, und manchem fällt es gar nicht so leicht – aber es ist immer wieder so toll zu sehen, wie viel besser wir danach aussehen… ich habe selbst vor 2 Jahren umgestellt und helf heut anderen bei der Ernährungsumstellung. Je mehr Aufklärung desto besser! Hab einen schönen Abend! Kati
Hallo Kati, lieben Dank für Deine Nachricht. Ja, aber es geht deutlich voran – zumindest hat man hier in Berlin das Gefühl, dass sich immer mehr Menschen für eine vegane Ernährung interessieren. Besonders deutlich wird das am stetig wachsenden Angebot. Selbst ganz klassische, konservative Restaurants beginnen zumindest auch ein veganes Menü mit auf die Speisekarte zu nehmen und natürlich wächst auch im Supermarkt das Angebot an veganen Alternativen. Schön zu sehen. Wie ist das in Zürich bzw. in der Schweiz? Ich finde es toll, dass Du Menschen bei der Umstellung hilfst und begleitest. Vielleicht findest Du dafür auf Veggies noch die ein oder andere Anregung? Ganz liebe Grüße aus Berlin, Deine Lea
Danke für den tollen Artikel. Das mit nach und nach umstellen kann ich nur unterstreichen. Ich konnte mir nie vorstellen auf Milchprodukte zu verzichten. Durch veganes Backen bin ich auf den Geschmack gekommen und nun kann ich z.B. Joghurt “nicht mehr riechen”… Geruchs- und Geschmacksinn werden eindeutig sensibler durch vegane Ernährung.
Schönes Interview. Dennoch ist mir ein (Tipp-)Fehler aufgefallen. Unter der Frag “Inwiefern kann eine vegane Ernährung eine besonders gesunde Ernährung sein? Worauf sollte man achten?” Steht im zweiten Absatz etwas über den “Einfluss von Vitamin A, also der Sonne […]” was meines Wissens nach nicht stimmt. An dieser Stelle ist sicher Vitamin D gemeint, welches durch Sonneneinstrahlung von der Haut gebildet werden kann. Auf Vitamin A hat die Sonne soweit ich weiß keinen Einfluss.
Freundliche Grüße 🙂
Vielen Dank für Dein Feedback – Du hast natürlich Recht 🙂 Das war Tippfehler, den ich gleich korrigiert habe. Liebe Grüße Lea